Leserbrief zu :
Aufklärung und Einwilligung bei ärztlichen Eingriffen
von Markus Parzeller, Maren Wenk, Barbara Zedler, Markus
Rothschild
Deutsches Ärzteblatt Jg. 104, Heft 9, 2.März 2007, Seite
A576 – A584
Die Druckerschwärze des o.g. Beitrages ist noch nicht
richtig getrocknet, da ist er durch neue Rechtsprechung und durch neue Gesetze
bereits obsolet, z.B durch das Prinzip der Selbstverschuldens im neuen
Wettbewerbstärkungsgesetz in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG)..
Keine Fortbildung wird schneller wertlos als die zum Thema Rechtsprechung in
der Medizin. Die Einhaltung der empfohlenen Leitlinien bei der Aufklärung
schützt nicht vor Haftungsansprüchen, und das hat nicht etwa seinen Grund in
der banalen Verwechslung des hilfesuchenden Patienten mit dem schützenswerten
Verbraucher, nein, die Ursachen liegen tiefer: es sind Verwerfungen im
politischen System.
Es heißt: Vor Gericht und auf hoher See sei man in Gottes
Hand. Mit Gottvertrauen könnte man das ertragen. Doch erstens gibt Gott den
Richtern im höchsten Amt immer ein Parteibuch, aber nicht immer den notwendigen
Abstand zur Politik, und zweitens geht es schon lange nicht mehr um
Menschenrechte im Sinne des Grundgesetzes und erst recht nicht um Selbstbestimmung.
Vielmehr geht es um Staatsraison, um politischen Willen und um
gesellschaftlichen Umbau zu Lasten der Selbstbestimmung. Die zunehmende
Einpferchung der Bürger in Versicherungspflichten ist Indiz genug. Wer hätte
schon aus den Sprüchen der 68iger prophezeihen können, dass „unter den
Talaren“ von heute „der Muff“ von 500 Jahren, nämlich der reine
Machiavellismus, zum Vorschein käme. So wird „Aufklärung“ als Anliegen nur
vorgegeben, letztendlich aber zur Durchsetzung anderer Ziele missbraucht. Da die
Jurisprudenz bei Arzthaftungsprozessen ehedem im Urteil durch harte Fakten
bzw. das Gutachten eines Sachverständigen gebunden war, hat sie durch die
Entdeckung des Aufklärungsmangels nun das höchstmögliche Maß an
Entscheidungsfreiheit erreicht. Im Zweifel kann nun am Sachverständigen vorbei
entschieden werden, denn an der Aufklärung lässt sich immer flicken – ein
glänzender Schachzug : Schwarz schlägt Weiß. Damit ist der Arzt vor Gericht
nicht in Gottes Hand sondern in der Fuchtel der „Dritten Gewalt“. Diese
Entwicklung ist noch nicht am Ende: die Entdeckung des
Selbstverschuldensprinzips für die Krankenversicherung, so zusagen die
Wiederentdeckung der Erbsünde, eröffnet neue Horizonte. Wehe den Ärzten, die
Behandlungen und Beratungen gleich welcher Art durchführen und nicht darüber
aufklären! Die Krankenversicherung könnte Selbstverschulden vermuten und die
Übernahme von Folgekosten ablehnen. Sie haften nicht nur für die materiellen
Folgen gegenüber dem Patienten, Sie riskieren auch den Schutz durch die
Haftpflichtversicherung und werden so ruiniert. So gesehen ist das Thema
Aufklärung nichts anderes als ein weiterer Kriegsschauplatz für die
systemgewollte fortschreitende Demontage eines freien Berufes: der Arzt nicht
Leistungserbringer sondern Kostenverursacher, ohne Arzt keine Kosten, Arzt im
Griff, Kosten im Griff, so die einfache Logik. Sehen wir es noch von der rein
praktischen Seite : auch der umfassend aufgeklärte Patient wird nicht wirklich
Einblick in die Materie gewinnen und selbstbestimmt entscheiden können, denn es
fehlen ihm sechs Jahre Studium und sechs Jahre Weiterbildung. Was bringt unter
diesen Umständen eine 3 Punkte cme Fortbildung zum Thema? 3 Punkte Entlastung
in einem parallelen Zwangssystem, das sich die Ärzteschaft hat aufoktroyiert
lassen. So flechten wir mit an den Kälberstricken, mit dem man uns gängelt, und
nennen es wie zum Hohn Selbstverwaltung.
Dr.med. Johannes Reinmüller
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