Montag, 9. September 2013
SATIRE – Schützenfest
Schützenfeste sind seit dem 17. Jahrhundert Tradition in dem schönen Land Tirol. Beim Scheibenschießen geht es um Können, Ruhm und Ehre. Der beste Schütze wird auf ein Jahr Schützenkönig und hat das Recht, auf die Ehrenscheibe zu schießen. Die DGPRÄC (www.dgpraec.de) ist nicht so traditionsreich, kann aber im übertragenen Sinne auf einige Ehrenscheiben mit Treffer ins Schwarze zurückblicken und an Schützkönigen mangelt es gewiss nicht. Wie jeder weiß, ist das Glück der Schützen wechselhaft und so geht auch mal ein Schuss daneben oder gar nach hinten los. Gegen eigene Ungeschicklichkeit oder Intrigen der Konkurrenz ist kaum einer gefeit. Erinnern wir uns an die Bemühungen zu Zeiten der VDPC (Vorläufer der DGPRÄG) um den Begriff Ästhetik als Alleinstellungsmerkmal für die erlauchte Mitgliedschaft. Fast schon symbolisch waren einige der Protagonisten der Bewegung im Seppelskostüm gekleidet. Dank ihrer Bemühungen konnten sie sich bald die „ästhetische“ Schwanzfeder des Auerhahns zu ihrem „plastisch-chirurgischen“ Gamsbart-Pinsel an den Hut stecken. Sie glaubten damals, sie hätten den sprichwörtlichen Vogel abgeschossen Doch die Natur ist hart und gerecht: wer bunt geschmückt in der Sonne balzt, wird leicht Opfer von Beutegreifern. Hier war es der Fiskus, der aus heiterem Himmel zustieß und die Ahnungslosen schamlos beutelte. Der Schuss war hier im wahrsten Sinne des Wortes als Umsatzsteuer nach hinten losgegangen. Der Preis für das Anhängsel „Ästhetik“ war damit teuer bezahlt. Nun sollte der teure Name wie die Kugel des „Freischütz“ in gleichnamiger Oper seine Zauberkraft in Richtung vermeintlicher Konkurrenz entfalten. So wurde denn angelegt auf einen Kieferchirurgen, der seine Kunst an den Brüsten orthognater Frauen anwandte. Wem das Libretto der Oper geläufig war, konnte den Ausgang ahnen. Die Kugel traf den missgünstigen Schützen selbst und das „Gute“ obsiegte in der richterlichen Feststellung, dass Ästhetik kein Alleinstellungsmerkmal einer Berufgruppe sein kann. Was bisher als juristische Grauzone eventuelle Mitbewerber abschreckte, war nun ein offizieller Freibrief für die selbsternannten Schönheitschirurgen und Zwielichtgestalten aus den Medien. Die Botschaft lautete für sie klar und deutlich: Du darfst. In unseren Zeiten politischer correctness , in denen „Diskriminierung“ als Keule zur Disziplinierung Andersdenkender nur der Presse und einer kleinen Auswahl von radikalen Fanatikern erlaubt ist, kann der Ausgang des Streites nicht wirklich verwunden. Im Ergebnis wurde viel geballert, leider auf die falsche Scheibe. Angesichts solcher Peinlichkeit kam der PIP-Skandal fast wie gerufen. Folgerichtig musste hier agiert werden, um das ruinierte Image aufzupäppeln. Das kann aber nicht gelingen, wenn man sich selbst als laufender Hase über den Schießstand ziehen lässt. Man mag das als gut gemeinte Geste interpretieren, das ändert aber nichts daran, dass man sich auf der falschen Seite befindet, während bereits die Neider und ewig Gestrigen die Stutzen laden und das Feuer freigegeben ist. Mit vorauseilendem Gehorsam und Ausdruck des Bedauerns in Sachen PIP konnte wohl kaum die öffentliche Meinung vorbei an „Bild“ und “Koalition gegen den Schönheitswahn“ gewendet werden. Das Wölkchen Pulverdampf, dass die Meisterschützen der DGPRÄC erzeugt haben, wurde öffentlich kaum wahrgenommen. Damit haben sie nur einer anderen Schützengilde durchschlagkräftige Munition geliefert. Die Feministinnen und Feministen sind endgültig bestätigt in der Auffassung, das Plastische und Ästhetische Chirurgie der Ausbeutung und Unterdrückung von Frauen dient. Der Klerus kann weiterhin den Eingriff des Menschen in Gottes Schöpfung beklagen, was landläufig so viel heißt wie: „dem Herrgott ins Handwerk pfuschen“. Die Vertreter der gesetzlichen Kassen können mit wachsweichen Argumenten fortfahren, Leistungen zu kürzen und – ohne Schamgefühl beim Blick auf die eigenen Bezüge einschließlich Pensionszusagen - sogenannte Leistungserbringer der Geldgier zu bezichtigen. Auf Augenhöhe, nicht nur in Bezug auf die Einkünfte, können sie mit den Herren Kollegen aus der ärztlichen Selbstverwaltung scheinheilig ethische Floskeln austauschen. Der grüne Tisch für die Böcke im Garten bleibt also reich gedeckt. Die Lügen der Bild-Zeitung werden zu Wahrheiten erklärt, mit denen wir künftig leben müssen. Und so fordern bereits im Vorwahlkampf die Streber und Klassensprecher aus den Regierungsparteien gesetzliche Einschränkungen, also weitere Beschneidungen der ärztlichen Kompetenzen, als gäbe es im Gesundheitswesen keine sonstigen Probleme. Führerschein mit 16, Implantate mit 61 aus Gründen der Symmetrie. Da alle US-amerikanischen Exzesse irgendwann auch den alten Kontinent erreichen, warten wir jetzt gespannt auf den EU-weiten silicone ban. Spätestens dann ist klar, dass der letzte Schuss aus dem Lauf ist. Des Schützens Büchse kommt an den Nagel, der Schießstand bleibt geschlossen und der letzte Schützenkönig hat seines Amtes gewaltete. Auf die Ehrenscheibe schießen in Zukunft nur noch die Vertreter der Gesundheitsbürokratie, wie üblich mit Platzpatronen. Es muss ja nur laut krachen. Und fragt man dereinst nach der DGPRÄC könnte die Antwort im alpenländlichen Dialekt lauten: „De hot´s dabreselt“.
21.07.2012
SATIRE – Der König ist tot, es lebe der König
Es geht zuweilen zu wie bei Hof, im Kleinen wie im Großen. An dieser sprichwörtlichen Erkenntnis hat sich wohl kaum etwas seit den Tagen des Absolutismus in Europa geändert Intrigen, Verurteilungen, Hinrichtungen. Madame Guillotine arbeitet jetzt für Spiegel, Bild und SZ zwar unblutig, doch kaum weniger erfolgreich. Auf der Liste der Delinquenten findet man inzwischen „König Werner“ von der Insel in Lindau. Als Facharzt für Ohren, Nase und Hals hätte er wissen müssen, wie nahe bei dem Ungeheuer Presse die Nase dem Rachen ist. Wer auf ihr herumtanzt, wird schnell verschlungen. Zwar ist des Königs Kopf noch nicht im Korb, doch die Szene wartet voller Spannung auf die Botschaft: „Der König ist tot“ natürlich im übertragenen Sinne, konkret auf die Meldung „Medical ohne Mang“. Und nun erfährt das Theaterstück eine unerwartete Wendung. Der totgesagte König lädt ein nach Bad Schachen zur „Jubiläumstagung 20 Jahre Schönheitschirurgie Lindau“, oder vielleicht auch 200 Jahre, wer kann bei so viel Spektakel noch mitzählen? Sein Fußvolk schnürt schon die Ranzen. Spektabilitäten, Ordinarien, Emeriti und andere Tollitäten aus Nord und Süd putzen die Talare und pudern die Perücken. „Es lebe der König.“ suggeriert der Prospekt zum kommenden Jubiläum. Haben nicht gerade die Präsidenten namhafter Gesellschaften der Plastischen und Ästhetischen Chirurgie die Eskapaden des strauchelnden Idols der „Schönheitschirurgie“ in einer Art Nachruf bedauert? Was also treibt nun selbst Mitglieder dieser Gesellschaften zum Tanz der Vampire nach Bad Schachen? Wohl kaum der Herdentrieb oder gar Schwarmintelligenz.. Vielleicht ist es eine Neuauflage der Genitalienschau am Scheideweg von Kunst und Pornographie in der Sybille-Mang-Gallery, sinnigerweise im Programm als get-together beworben, vielleicht auch Charity mit Dr. Brigitte Mohn, zur Abwechslung als Gala inszeniert, und Champus gratis. Nicht wirklich. Man findet die Antwort in den philosophischen Schriften des „König Werner“, der die Schwächen seiner Pappenheimer kennt und vor Jahr und Tag bereits diesen die Formel: „Schöner Schein und eitler Wahn“ auf den Leib schrieb. So streben sie offensichtlich nach Ehrungen oder gar nach Mitgliedschaft in der IGÄM, was auch immer sich hinter diesem sinnigen Akronym auf Ä international verbergen mag. Die Domäne IGEM auf E ist schon vergeben an die Interessengemeinschaft der Esel- und Mulizüchter, www.igem.de, siehe auch www.esel.org. Ist das Zufall? Was sonst. Denn statt Eseldung und IAa-Schreien verspricht IGÄM Augenhöhe mit illustren Namen und der angesagten Kleinprominenz, und es winkt vielleicht ein Eintrag im Who is Who der Eitelkeiten als Entschädigung für die Mühsal der Reise. Was sonst könnte die Anstrengungen rechtfertigen? Im Programm ist nichts ausgelassen, was nicht schon quantum satis bei den voran gegangenen Tagungen vorgetragen wurde, Perseverierung als Symptom des „undiszipliniert-autistischen Denkens in der Medizin“[Bleuler]? Zum Beispiel „liquid lifting“, eine Art Hydraulik für Mediziner einschließlich Schnupper-Kurs, Wissenschaft mit drei Kreuzchen, plus plus plus, etwa wie: lieb lieb lieb oder böse böse böse, hands on – brain out und zum Schluss das alles schlagende Argument: 2 Milliarden Chinesen können nicht irren. Da wären schließlich noch die üblichen verdächtigen Goldsponsoren. Sie liften nicht die Majestät sondern die Liquidität am Hofe. Nur eines werden die Teilnehmer vermissen, Samba Pa´Ti, die Vintage-Vorlesung des König Ivo aus Rio: My Way - How I did it, did it, did it …, 50 Jahren Plastische Chirurgie unterm Zuckerhut. Dennoch kein Zweifel, es ist ein Jubiläumsprogramm. Und wandelnd auf den Spuren des Armand Herberger, geküsst von den selben Musen des gleichnamigen Hofes in der Pfalz braust der Ruf des König Werner über n-tv hinaus ins Land: „Ruf an! Du wirst es nicht bereuen“. Ob Einladung zum Fest oder Rückrufaktion in die Werkstatt [Titanic, Nr.3/2012, S.56] wer könnte diesem Charme widerstehen? Der König wie er leibt und lebt.
02.05.2012
Leserbrief an DÄ betreffend Themen der Zeit , Seite 1234, vom 22. Juli 2013
Dem Kommentator geht es um Gleichheit bei der Erlangung medizinischer Versorgung. Als Arzt ist er wohl tätig in einem System, welches sich bewusst als solidarisch bezeichnet. Es ist sogar naheliegend, dass er sich vertraglich an das solidarische deutsche Gesundheitssystem gebunden hat.
Solidarität ist ein missbräuchlich verwendeter Begriff aus
der marxistisch-kommunistischen Ideologie und nicht identisch mit den
Forderungen der französischen Revolution von Gleichheit, Freiheit,
Brüderlichkeit. Solidarität funktioniert immer nur vertikal und zwar
aufsteigend immer dann, wenn Opfer verlangt werden. Bei der Verteilung nach
unten gibt es im besten Falle Priorisierung, im schlimmsten Falle Privilegierung. Solidarische Systeme
verfolgen gerade nicht die Gleichheit der einzelnen Mitglieder sondern ausschließlich
den Erfolg des Systems. Hierin liegt der grundlegende Irrtum des Kommentators
bei der Beurteilung der geschilderten Vorgänge. Wie im Ameisenstaat sind die
systemrelevanten Mitglieder privilegiert. So hat es der Autor auch direkt wahrgenommen.
Damit ist aber nicht etwa eine Staatskrise nachgewiesen sondern zunächst der Erfolg
des solidarischen Gesundheitssystems.
Nun hat die Medizin auch eine ökonomische Perspektive und
aus dieser ist die Frage zu stellen, warum nicht ein Patient, der schnellst
möglich zu seinem Arbeitsplatz drängt, weil für die Erhaltung des Systems (und
all jener in der Notambulanz) relevant, zeitlich bevorzugt behandelt werden
darf, wo doch den Schilderungen nach davon auszugehen ist, dass ein Großteil
jener Elenden im Wartebereich den Kriegsschauplatz mit einer
Arbeitsunfähigkeitbescheinigung wieder verlassen wird.
Angst und Bange macht eher die Darstellung der Notambulanz,
weil sie, sofern zutreffend, schwerwiegende organisatorische und hygienische
Mängel beschreibt. Weiter unterstellt, die Zustände dort seien originalgetreu
wiedergegeben, so wäre vordringlich eine Triage durchzuführen, angelehnt an das
zitierte Weltkriegsszenario, und damit wäre die Gleichbehandlung, etwa nach
dem Zeitpunkt des Eintreffens, eo
ipso perdu. Unverständlich bleibt, weshalb sich der Kommentator schließlich gegen
seine Überzeugung auf Weisung von oben „korrumpieren“ ließ. Wenn überhaupt, so
beginnt hiermit das zu beklagende Elend des Staates.
Leider schweigt der Autor zum Versicherten-Status jener
geheimnisvolle Allegorie der Justitia oder besser der Arroganz, die bevorzugte
Behandlung beanspruchte. Was spricht gegen solidarisch? Beamtenprivilegien!
Dr. Johannes Reinmüller
Chirurg, Plastischer Chirurg
Leserbrief DÄ J. 109, Heft 3, 20.1.2012, Seite C 70 f „Fehlerhafte Brustimplantate“
Sehr geehrte Frau Dr. Hibbeler,
Ihr Artikel über fehlerhafte Brustimplantate lässt sich einreihen in die
zahlreichen apokalyptischen Darstellungen des Themas in der Boulevard-Presse.
Bei nüchterner Betrachtung der bisher bekannten Fakten ist festzuhalten, dass
der Gründer und Geschäftsführer des französischen Unternehmens PIP zur Füllung
von Silikon-Brustimplantaten anstelle des bei der Zulassung der Produkte
beschriebenen Silikongels ein davon abweichendes Material verwendete. Das
Ergebnis einer umfassenden stofflichen Analyse dieses nicht deklarierten
Materials lag den Behörden bereits im September 2010 vor. Spätestens ab
diesem Zeitpunkt war bewiesen, dass von den PIP-Produkten keine toxischen
Substanzen ausgehen und somit keine akute oder langfristige Gefährdung der
Gesundheit der betroffenen Patientinnen anzunehmen ist. Im juristischen
Sprachgebrauch wurde durch die Verwendung eines nicht deklarierten Silikons zur
Herstellung der PIP-Implantate der Tatbestand einer abstrakten Gefährdung
geschaffen. Mehr ist bisher nicht nachgewiesen. Zum besseren Verständnis: Eine
abstrakte Gefährdung entsteht auch dadurch, dass der Arzt bei der hygienischen
Händedesinfektion die vorgeschriebene Zeit - gemessen in Sekunden - nicht
einhält. Alle weiteren Behauptungen sind bisher spekulativ. So wurde im
Zuge der Presse-Kampagnen zum Thema behauptet, dass durch die Hüllen der
„Billig-Implantate“ austretendes Material Krebs erzeugen könne und dass diese
„platzen“ könnten. Mit drastischer Sprache in Bild (siehe Abbildung im Artikel)
und Ton wurden die medizinisch Unbedarften vermeintlich aufgeklärt. Im
Vergleich zu den bisher unbeanstandeten Produkten anderer Hersteller kann das
nicht belegt werden. Alle Produkte dieser Art – wie auch alle anderen
Implantate - sind im Bioorganismus begrenzt haltbar und mit speziellen Risiken
behaftet, unbeschadet der verharmlosenden Äußerungen einiger Anbieter, die ihre
Patienten mit falschen Versprechen täuschen, und es ist gerade diese Spezies,
die die neue Situation mit Hilfe der Medien zur Eigenwerbung und Beförderung
ihres Geschäftes nutzt. Wenn es einen akuten Handlungsbedarf gibt, dann ist das
die Ermahnung der Akteure zur Disziplin. Die inzwischen heraufbeschworene
Empörung der Öffentlichkeit hat die Aufsichtsbehörden unter Aktionszwang
gebracht, so dass diese die vorbeugende Entfernung von PIP-Implantaten
empfahlen. Den Empfehlungen haben sich die Berufsverbände der verschiedenen mit
Mamma-Implantaten befassten Fachrichtungen mit vorauseilendem Gehorsam
angeschlossen. Man ignorierte dabei einerseits die generellen Risiken, die
vergleichbaren Implantaten anderer Hersteller innewohnen und andererseits die
Risiken von Revisionsoperation, bei denen zur Entfernung der texturierten
PIP-Implante überwiegend das subpectorale Stratum eröffnet werden muss. Weniger
wäre hier mehr. Völlig abwegig sind Forderungen nach mehr Kontrollen
(etwa nur bei den Herstellern?), als hätten wir diese nicht schon im Überdruss.
Man denke zurück an die hoch gepriesenen Mamma-Implantate mit Sojaöl-Füllung,
die jeder Produktionskontrolle stand gehalten hätten. Nur leider wurde das Öl
im Organismus vorhersehbar ranzig, so dass Toxine durch die Hüllen freigesetzt
wurden. Ein anonymes Implantatregister könnte bestenfalls
„epidemiologisch“ von Interesse sein. Es wäre sicher nicht Mittel zu einer
verlässlichen Qualitätskontrolle der Produkte. Ein personenbezogenes
Register – etwa wie beim Waffenbesitz – ist aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes
nicht hinnehmbar. Dennoch eine witzige Perspektive: der Implantat-Ausweis
mutierte zum Waffenschein. Na endlich! Gegen ihre Ausführungen zur
Kostentragung im Falle einer vorbeugenden Implantatentfernung ist einzuwenden,
dass bisher keine Erkrankungen im Sinne des SGB V aufgetreten und solche auch
nicht zu erwarten sind. Daher ist die Frage der Kostenübernahme nach BGB zu
beurteilen. Wie beim Zahnarzt, der ein mangelhaftes Werkstück einsetzt, hat der
Patient Anspruch an den Anwender, d.h. hier an den Operateur. Dieser kann
seinerseits den Anspruch geltend machen beim Lieferanten.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Johannes Reinmüller
Chirurg, Plastischer Chirurg
Ein Lehrstück für Priorisierung
Leserbrief zu: „Schönheit hat ihren Preis“, Deutsches Ärzteblatt Jg. 108, Heft 26, 1.Juli 2011, Seite 1234-1238
Heuchelei und argumentatives Herumeiern sind typisch für das
Thema „Schönheitschirurgie, wie die Autoren und deren Interviewpartner unter
Beweis stellen. Formal handelt es sich bei dem Beitrag nolens volens um ein Lehrstück für Priorisierung in
der Medizin mit Beifallskundgebungen breiter Bevölkerungsschichten
einschließlich der Standesvertreter und der Kirchen. Am Anfang steht die
Verbreitung einer Irrlehre: hier die in der Biologie unzulässige Polarisierung
der Begriffe Schönheit und Gesundheit. In Bezug auf einen Bioorganismus ist
gesund auch stets schön und umgekehrt. Wortschöpfungen wie „Schönheitschirurgie“, „Ästhetische Chirurgie“ etc., mit
welchen später die Leistungsausgrenzung begründet wird, sind absichtlich
unpräzise. Mit Begriffen dieser Art werden keine neuen Entitäten geschaffen. Sie
dienen Fachgebietsfremden zur Vortäuschung falscher Tatsachen oder
Berufsverbänden zur Begründung von Alleinvertretungsansprüchen. „Schönheitsoperationen“
werden in allen operativen Fächern durchgeführt. Man werfe einen Blick auf die
unverdächtige Orthopädie. Bei allen Leistungen der „Ästhetischen Medizin“
handelt es sich stets um ärztliche Heilkunst und nicht etwa um Dienstleistungen
wie in der Kosmetik. Daher ist die ärztliche Approbation gefordert. Es wird
richtig festgestellt, dass ärztliche Leistungen einer medizinischen Indikation
bedürfen. In einer verfassten Ordnung braucht es dazu einer legalen Definition
für Gesundheit, und diese hat die Weltgesundheitsorganisation im Jahre 1946
beschlossen und verkündet (1). Damit fällt ein Großteil so genannter
„Schönheitsoperationen“ in das Spektrum medizinisch indizierter Behandlungen.
Obgleich Mitglied der UNO, hat Deutschland diese Definition nicht übernommen.
Faktisch entscheidet hierzulande der Sachbearbeiter, was „gesund“ ist und
bezahlt wird. Bis Ende der 80iger
Jahre wurden von den Krankenkassen regelmäßig Leistungen der heutigen Kategorie
Ästhetik, z.B. bei psychischem Leiden, übernommen. Die Wende leitete das
Bundessozialgerichts mit einem Urteilt 1993 (Az: 1 RK 14/92) ein, wonach psychisches Leid infolge empfundener
körperlicher Mängel nicht chirurgisch sondern psychotherapeutisch zu behandeln
sei. Eingedenk dessen möge jemand nachvollziehbar erklären, weshalb Frauen nach chirurgisch erfolgreicher
Therapie eines Mammakarzinoms nach wie vor eine operative ästhetische Wiederherstellung
als Kassenleistung beanspruchen können. Man erkennt hier die Willkür bei der Interpretation von Urteilen bzw.
bei der Definition von Gesundheit, welche sich auf Entscheidungen bei der
Kostenübernahme überträgt. Eingesparte Mittel können anderweitig, z.B. für
Werbung, ausgeben werden. Das ist Priorisierung: Werbung vor Versorgung. Die so
genannten Leistungserbringer kommen dabei unterm Strich gut weg. Wie im Beitrag
geschildert erhielten sie neue finanzielle Freiräume und haben diese
geschäftsmäßig gestaltet einschließlich der IGEL. Der Schluss, dass in einem
gewinnorientiertem System die Medizin auf der Strecke bliebe, ist unbewiesen, die
Zurechnung eines ursächlich nicht geklärten Todesfalles ist unseriös. Auch der
Begriff „Verbraucherschutz“ ist a priori fehl am Platz und weist auf Defizite
im Verständnis der Materie hin. Im Resultat lässt der Beitrag eine aus
ideologischen Zwängen heraus entstandene, parallele Gesundheitswelt erkennen
als Ersatzvornahme in einem teilweise zweckentfremdeten, solidarisch finanzierten
Gesundheitssystem.
(1) Health
is a state of complete physical, mental, and social well-being, and not merely
the absence of disease or infirmity.
J.Reinmüller,
Chirurg, Plastischer Chirurg
Leserbrief zu Themen der Zeit: Hygiene und öffentliche Gesundheit
Dtsch Arztebl 2010; 107(49): A-2444 / B-2116 / C-2076
27.12. 2010
Cui bono?
Mir fällt auf, dass die Zahl der nosokomialen Infektionen im
Lande mit der Zahl der Hygienefachleute und der Zahl der RKI-Richtlinien
zugenommen hat. Man könnte daraus folgern, dass es einen ursächlichen
Zusammenhang zwischen den öffentlichen Bemühungen und der Ausbreitung der
Seuche gibt. Wie ist die positive Rückkopplung im komplexen System zu
verstehen? Grundsätzlich lassen sich öffentlichen Strukturen durch drei
Gesetzmäßigkeiten hinreichend beschreiben: Murphy´s
law, Peter principal und Parkinsons Gesetz. Murphy´s
law taugt hier nicht zur Erklärung,
eher schon das Peter principal.
Aufgrund jüngster praktischer Erfahrungen mit Gesundheitsbehörden und
Hygienesachverständigen überzeugt mich letztlich Parkinsons Gesetz zur Erklärung dieser Entwicklung. Es beschreibt
einen alt bekannten Aspekt des öffentlich-rechtlichen Systems: primär geht es
um die Verwaltung des Notstandes und damit verbunden um die Ausweitung von
Kompetenzen der öffentlich Bediensteten – in neuerer Zeit flankiert von umsatz-
und körperschaftssteuerträchtiger Lobby-Arbeit der Industrie und spezieller
Dienstleister. Hygiene – wie sie
zur Lösung des Problems erforderlich ist – liegt aber weiterhin buchstäblich in
den Händen des heilkundlich tätigen Arztes und seiner Helfer. Sie erschließt
sich nicht wirklich aus Druckerzeugnissen von Behörden und aus Meinungen ferner
Hygienegutachter, die wissenschaftliches Denken in Algorithmen umzusetzen
versuchen und damit zwangsläufig die oben genannte Staatsraison bedienen. Beispiele
sind die untauglichen Vorschriften zum Umgang mit Kanülen und die
Heiligenscheinhygiene mit den Gummihandschuhen. Wer immerzu abstrakte
Gefährdungen zur Begründung aufwändiger Hygienemaßnahmen bemüht, muss sich
nicht wundern, wenn er konkret scheitert. Langfristig wirkt sich das
inflationär aus und ruiniert die Volkswirtschaft, denn es fehlt an echter Wertschöpfung.
Leserbrief zu Themen der Zeit: Rekonstruktion des Hymens – Zur Ethik eines tabuisierten Eingriffs
Dtsch Arztebl 2009; 106(8): A-340 / B-292 / C-284
17.03.2009
Die Autorinnen streifen in ihrem Artikel das ethische
Problem nur tangential. Wenn die Rehymenisierung eine ethische Dimension
besitzt, dann doch die der Wahrhaftigkeit. Vorgabe falscher Tatsachen als
Grundlage für ein Ehebündnis, allerdings mit vertauschten Geschlechterrollen,
ist hierzulande bekannt aus dem Nibelungenlied: Gunther verschafft sich mit
Hilfe Siegfrieds den Zugang zum Ehebett der Brunhilde mit der bekannte desaströsen
Entwicklung als Folge des Betrugs bzw. des ethischen Versagens. Nach unseren
rechtlichen und wohl auch ethischen Normen ist der Helfer beim Betrug nicht
anders zu bewerten als der Täter. Also ist der helfende Arzt bei der
Wiederherstellung des Hymens als Zeichen der Jungfräulichkeit zum Schein der Helfer
des Betrügers. So einfach könnte das Urteil vom ethischen Standpunkt aus
lauten, gäbe es da nicht noch einen anderen Aspekt, der im Artikel mit der
Wortschöpfung „Geschlechterungerechtigkeit“ anklingt. Als Rechtfertigungsgrund
für Betrug ist dieser Begriff zu schwach und wäre besser durch die Bezeichnung
„Krieg der Geschlechter“ zu ersetzen. Damit wird nämlich die gewaltsame
Unterdrückung der Frau bis hin zur existenziellen Bedrohung durch die archaische
Verhaltensweise des Mannes in den angesprochenen „Kulturkreisen“ zum Ausdruck
gebracht, und der Krieg rechtfertigt eben die Kriegslist. Wollten die
Verfasserinnen des Artikels so weit gehen? Wenn nicht bleibt es vom ethischen
Standpunkt aus bei Grillparzers „Weh dem der lügt“.
Einer flog übers Kuckucksnest
Kommmentar
für Plastische Chirurgie
11.03.2009
Was wird
uns Chirurgen und Plastischen Chirurgen nicht alles aufgetischt ?
Brustzentren, Netzwerke, Kompetenz-Zentren für Adipositas- und metabolische
Chirurgie, und das alles zertifizier und qualitätsgemanaged (siehe
November/Dezember Ausgabe 2008 der CHAZ aus dem Kaden-Verlag). Je kühner
die Wortschöpfungen desto ausladender die zugehörigen Algorithmen zur Erlangung
des Heils. Auch wenn es dem Zeitgeist entspricht, kann solche Botschaft
nicht unkommentiert bleiben:
Veranschaulicht
man sich das Wesen eines Brustzentrums, so erkennt man die gleichen
Strukturen, die seit Beginn der modernen Medizin ein Krankenhaus zu dem machen,
was es ist, eine Organisation von unterschiedlichen Fachbereichen unter einem
Dach. Ähnliches gilt für „Netzwerke“. Jeder verantwortliche Arzt arbeitet in
einem Netzwerk mit anderen Fachkollegen. Nun braucht es dazu neuerdings eines
Zertifikates, vergleichbar dem Segen der alleinseligmachenden Kirche. Selbstverständlich
braucht die interdisziplinäre Zusammenarbeit eine Organisation. Idealerweise
entsteht diese jedoch innerhalb flexibler Struktur im Zuge des
Zusammenwirkens der Beteiligten automatisch und entwickelt sich täglich fort,
nicht im dreijährigen Turnus . Man bezeichnet das als
Synergetik. Die Synergetik ist das zentrale Element zum Verständnis
der Organisation komplexer Systeme, mithin des Lebens. Das Aufoktroyieren
fremder Strukturen auf synergetische Organisationsformen führt zum Systemversagen.
Die griechische Mythologie beschreibt solche Bestrebungen mit dem Bild vom Bett
des Prokrustes, und damit ist das Überstülpen bürokratische Regelwerke über
natürliche Systeme gemeint. Als hätte die Ausübung der Medizin nicht bereits
unter solchem Widersinn zu leiden. Vorauseilender Gehorsam gegenüber
den Gesundheitsideologen und dem sie ungebenden Tross an
"Parasiten" ist unangebracht.
Das Neue
am zertifizierten Brustzentrum mit seinen Leitlinien und Algorithmen besteht
vielleicht darin, dass die Beteiligten, Patienten wie Ärzte, weit
mehr dem Regime entfernter Statistiker und
Qualitätsmanager unterworfen sind als der Expertise des einzelnen Arztes
als Spiritus rector im herkömmlichen Medizinbetrieb. Aus dieser Funktion wird
der Arzt in der Staatsmedizin zunehmend verdrängt. Seinen Status haben
„Halbgötter“ anderer Couleur längst usurpiert. Es heißt in deren Sprachgebrauch
auch nicht mehr „Arzt“ sondern „Leistungserbringer“. Als Knechte der neuen
Herren, der Bewahrer der evidenzbasierten Asche - nicht des Feuers, liefern sie
Daten als Opfersteuer, mit denen jene ihre fragwürdige Majestät
nähren. In solchen Organisationen geraten neue wissenschaftlichen
Erkenntnisse der Grundlagenforschung zwangsläufig in die Warteschleife
oder fallen übermächtigen Algorithmen zum Opfer. Als Erfolgsnachweis
wird sodann jährlich das statistische Überleben verkündet, begleitet vom
Weihrauch der Sponsoren klinischer Studien.
Der
Beweis steht noch aus, dass es bei "Brustzentren" und
"Netzwerken" der neuen Art um besseren
Behandlungsoptionen geht und so könnte man meinen, es verberge
sich mehr eine versteckte Form der
Werbung dahinter. Nur ergibt Werbung für
ein unterfinanziertes,
defizitäres Geschäftsmodell keinen Sinn. Es bleibt also die
Frage, was wird hier wirklich zu Markte getragen? Werbung in eigener
Sache, nicht für die Sache. Das "Who is Who" Prinzip : Man kauft für
teures Geld den tausendseitigen Foliant, nur um sich selbst darin
wiederzufinden. Geradezu grotesk erscheint der Begriff "Brustzentrum",
wenn einzelne Teilnehmer durch die Republik reisen und ihre Kunst in
verschiedenen Lokalitäten ausüben, weil sich z. B. der gynäkologische
Platzhirsch eines Hauses zwar
erfolgreich gegen die Konkurrenz durch einen Plastischen Chirurgen
wehrt und dennoch der Eitelkeit frönen möchte, ein
"Brustzentrum" mit mikrochirurgischen Methoden sein Eigen zu nennen,
ein „Brunstzentrum“ so zu sagen. Also benötigt er einen
"fliegende Operateur" und findet ihn gerade deshalb, weil sich
andernorts die Einsicht vom defizitären Charakter solcher Unternehmungen
bereits niedergeschlagen hat. Damit ist alles zum Thema gesagt.
In der
Adipositas-Chirurgie will man offensichtlich solche barocken
Auswüchse nicht in dieser Deutlichkeit zu Tage treten lassen. Daher sollen
wohl die Kriterien für Adipositas-Chirurgie-Zentren von Seiten der bereits
etablierten eng gefasst werden, beispielsweise
das Erfordernis spezieller Einrichtungsgegenstände. Zu
solchermaßen konkreter Materie wie dem OP-Tisch mit 250 kg
Tragfähigkeit gesellt sich dann noch das Abstrakte: die "metabolische
Chirurgie". Welch eine treffende Bezeichnung! Es klingt wie Biochemie im
Tonnenmaßstab, ist es aber nicht. Unter Metabolismus versteht man die
enzymatische Umwandlung
organischer Stoffe, also Vorgänge im Sub-Nanobereich und mithin unzugänglich
für chirurgische Methoden. "Metabolische
Chirurgie" ist daher ein Paradoxon wie das
"Kuckucksnest", über das wir da wohl gerade fliegen.
Die
Realität der Adipositas-Chirurgie ist eine andere: nämlich Bestrafung
der Unschuldigen, wie es schon Menemius Agrippa 494 v. Chr. den Plebejern von
Rom darlegte. Magen und Dünndarm müssen herhalten, obwohl sie bei dem zu
beklagenden Zustand nur höchst mittelbar beteiligt sind. Streng genommen
handelt es sich bei der Adipositas-Chirurgie um Eingriffe am falschen
Organ. Daran ändern auch die wissenschaftlichen Begleituntersuchungen zu den
metabolischen Folgen und die
Entdeckung immer neuer Enterohormone nichts. Sie unterstreichen nur den
experimentellen Charakter der Maßnahmen und vermitteln den Eindruck, dass
Operationen zur Einschränkung der Nahrungsaufnahme bei Adipösen komplizierte
Unternehmungen seien. Doch die kürzeste bekannte Kausalkette bei
der Adipositas - in der Landwirtschaft als Mast, in der Physik als erster
Hauptsatz der Thermodynamik bekannt - ist bereits lang genug, um an anderer
Stelle zu intervenieren oder auch nicht....
Es bleibt
die Frage: ist die Adipositas-Chirurgie wirklich eine Aufgabe der Chirurgie
oder gar ein gesellschaftliches Bedürfnis, bzw. ist eine flächendeckende
Etablierung von Adipositas-Chirurgie-Zentren erforderlich? Die
Adipositas-Chirurgie ist wohl eher Tribut an die
unantastbare Selbstbestimmung des Patienten ohne Rücksichtnahme auf andere
Rechtsgüter. Aber auch daran kommen Zweifel auf, wenn man das für die Adipositas-Chirurgie
- oder spitzer formuliert - für die "metabolische
Chirurgie" von der Industrie eigens geschaffene Instrumentarium
überblickt. Danach handelt es sich wohl eher um einen Selbstläufer
: im Vertrauen auf die Adipositas-Chirurgie können die Dicken dicker
werden. Da werden sie geholfen. Das Prinzip der Selbstverschuldung
weicht dem der Verpflichtung zur Hilfeleistung mit entsprechender Umkehrung der
legalen Konsequenzen im Falle der Unterlassung. (Hat man insbesondere uns
Plastischen Chirurgen das nicht erst kürzlich umgekehrt eingebläut?) Stellen wir jetzt besser nicht die
Frage nach den absehbaren Folgebehandlungen. Damit sind nicht etwa
Dermolipektomien bzw. „body lifts“ gemeint. Nein, es sind lebenslang
überwachungs- und substitutionsbedürftige Mangelerkrankungen und Reoperationen.
Dennoch, die Rechenknechte haben auch hier schon mal kalkuliert und
volkswirtschaftliche Einsparung in Milliarden-Höhe prognostiziert. Milch- oder
Mischkalkulation? Das ist hier die Frage .Wenn es denn tatsächlich so lohnend
ist, ergibt sich daraus eine wirklich positive Perspektive: wir müssen uns
nicht mehr um die Unterfinanzierung der Brustzentren grämen.
Dr. med.
Johannes Reinmüller
Chirurg,
Plastischer Chirurg
Zu dem Beitrag: Narbenhernie – Pathogenese, Klinik und Therapie
Von Volker Schumpelick, Karsten Junge, Uwe Klinge, Joachim Conze
In Deutsches Ärzteblatt 2006; 103(39): A2553-8
Ultima ratio
Als Folge der von den Autoren angegebenen Methode Literaturrecherche
fallen die Ausführungen zur Pathogenese der Narbenhernie
unsystematisch aus und werden somit den komplexen Abläufen der gestörten
Wundheilung kaum gerecht. Selbst wenn man dies so gelten ließe, rechtfertigt
sich hieraus keinesfalls die vorgenommene Ausgrenzung der Nahtverfahren zur
Therapie. Nur weil man die grundlegenden Vorgänge nicht besser kennt bzw. nicht
besser klassifizieren kann, wird
ein Therapieverfahren angepriesen, welches nicht die Prädikate modern,
physiologisch, anatomiegerecht verdient. Im Gegenteil: bei den Netzverfahren
handelt es sich aus physiologischer
und anatomischer Sicht um
ultima ratio. Diese ist zweifellos manchmal unumgänglich.
Auch die angebotene Literaturübersicht kann das von den
Autoren verbreitete Therapieregime
nicht rechtfertigen. Es fehlt
darin – wiederum bedingt
durch unzureichendes Wissen über
die Pathophysiologie – an eben dieser Systematik und an Vergleichbarkeit der
Studien. Und da gibt es noch den publication bias und das cui bono. Denn
irgendwer stellt die Netze her und will sie verkaufen.. Die Förderung von
Studien und des wissenschaftlichen Austausches zum Produkt sind elementare
Teile des Marketings.
Es wäre zuviel verlangt, im vorgegebenen Rahmen die
Problematik von Biomaterialien im Hinblick auf ihre Biokompatibilität
darzulegen. Der Hinweis darauf ist dennoch unabdingbar für die Diskussion : Bei
den Netzverfahren werden der Technik entliehene Fremdmaterialien in bewegte
Regionen des Bioorganismus eingebracht. Diese Materialien erneuern sich nicht
wie biologisches Gewebe, sondern sie altern. Durch Bewegung entstehen Reibung,
Scherung Biegung bzw. Abrieb und
Bruchstellen. Die Haltbarkeit ist mithin begrenzt. Nun, wie lange denn? Wird
ein Netz bei einer 45 jährigen Patientin implantiert, dann wird es im
Durchschnitt für 40 Jahre gebraucht.
Was lässt sich bei einer Nachbeobachtungszeit von 48 Monaten dazu
aussagen? Welches Schicksal ist dem Abrieb bestimmt? Das wissen wir schon
besser. Er vagabundiert durch den gesamten Organismus und wird in Filterorganen wie Lymphknoten,
Lunge, Leber, (Gehirn?)
gespeichert. Was ist daran physiologisch?
Es macht vielleicht nicht wirklich krank..
Nun gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen der Wundheilung ohne und mit
Fremdkörper: Ohne Fremdkörper findet die Wundheilung in der Resolution einen
Endpunkt. Das Ergebnis ist die reife Narbe. Mit Fremdkörper entsteht eine
chronisch granulierende Entzündung ohne Endpunkt. Hierin liegt möglicherweise
die eigentliche Funktion der alloplastischen Verfahren. Das Netz ist als Kraftaufnehmer von Beginn an
bedeutungslos. (Andere Interpretationen sind Fortsetzung des mechanistischen
Denkens aus den Ursprüngen der Zunft). Es füllt einen Gewebsdefekt. Es stellt
nicht wieder her. Deshalb ultima ratio und nicht Methode der Wahl.
Daraus folgt die umgekehrte Bewertung der Methoden. Die
Indikationen für Nahtverfahren sind sehr viel weiter zu stellen als von den Autoren empfohlen. Es
bedarf hierzu nur einer treffenderen Systematik bei der Beurteilung der
biologischen Gegebenheiten. Der hier ex cathedra verkündete Rückzug auf
die Netzverfahren bedeutet für die
Truppe vorschnelle Kapitulation vor den Phänomenen der Wundheilung und ruft in
der Konsequenz für die Vorhut eine
besondere Bedrohung auf den Plan, die Damen und Herren in den schwarzen Roben.
Wiesbaden, den 15.10. 2006
Dr. Johannes Reinmüller
Ärztestreik ? (19.01.2006)
Wie weit ist es mit diesem Berufsstand gekommen ? Das Titelbild spricht
Bände : Arzt im Hemd, flache Stirn, Trillerpfeife, eine erschütternde Symbolik.
Erschütternder die stupide Kurzformel auf dem Plakat "Geld weg Arzt
weg" ohne Punkt und Komma. Am erschütterndsten die Bildunterschrift
"Ärzte auf der Straße", gemeint ist wohl "...in der Gosse".
Das sind jetzt Ihre Verhandlungspartner, Damen und Herren in den
Schaltstellen des Gesundheitswesens! Nicht die Vorbilder des Arztberufes,
ja nicht einmal deren Abklatsch. Nun sind Sie auf Augenhöhe
mit Ihrem Gegenüber, einer Spezies,die Sie einschätzen
können, früher ÖTV, heute Verdi und MB, manchmal in blau, dann
mal in weiß, eben Ärzte auf der Straße,. Proletariat im marxistischen Sinne.
Genosse Arzt, das Revolutionskommitee hat Dir etwas mitzuteilen.
Das ist das eine, was mir zu Thema Ärzte-Streik einfällt. Und
siehe, da sind sie wieder, die Alt68iger, oder besser gesagt, die Agitatoren
der kommunistische Fraktion im Mantel der 68iger, die den aufklärerischen Geist
dieser Zeit an Pankow verkauft haben. Sie sitzen heute nicht nur in den
Schaltstellen des Gesundheitswesens, sondern bilden auch die flankierenden
Hilfstruppen in den zuständigen Gerichten. Daher Augenhöhe, nicht aber Waffengleichheit.
Nun kann man Wetten abschließen, wer sich hier durchsetzt.
Da es bekanntlich im Diesseits keine Gerechtigkeit gibt, fährt auch die
Hoffnung dahin, dass die politisch Verantwortlichen für die neue Generation
Arzt im Erkrankungsfalle dieser in die Hände fallen. Nein, hierfür ist
vorgesorgt. Der Flugdienst bringt die Damen und Herren in die Uni-Klinik Zürich
zu den letzten Fossilien des freien Arztberufes.
Zum anderen fällt mir auf, dass der Ärzte-Streik aus
objektiver Sicht für beide Seiten der Mühe nicht wert ist, wo
doch das Tal der Tränen fast durchschritten und die Aussichten auf die
Ausbildung tragfähiger und nachhaltiger Strukturen durch autoregulative
Prozesse besser erscheinen denn je.
Ich will diesen Optimismus begründen: Wären die Krankenkassen
verpflichtet, wie ein ordentlicher Kaufmann zu bilanzieren, so müssten sie 2 -
4 Billionen Euro als Verbindlichkeiten heute in die Bilanz einstellen. Ein
Ausgleich dieser Verbindlichkeiten durch Beitragsforderungen führte zu einer
Anhebung der Beitragssätze um mehr als das Doppelte des gegenwärtigen Niveaus
(sinngemäß zitiert nach Prof. Raffelhüschen, mathematisch kalkuliert aus Zahlen
öffentlicher Statistiken). Der Bilanzausgleich über Beitragsforderungen ist
damit nicht praktikabel. Es bleibt nur die Leistungsseite, im Klartext: die
Streichung bisheriger Leistungen im großen Stil. Unverständlicherweise ruft
gerade das den Zorn der Ärzteschaft hervor. Statt dies als Chance zu begreifen,
quittiert man diese banale Notwendigkeit mit der Trillerpfeife. Es ist ja nicht
so, dass diese von der "Zuwendungsliste" der Kassen gestrichenen
Leistungen danach nicht mehr nachgefragt werden. Es ändert sich nur die
Kostenstelle. Dabei dürfte auch schon feststehen, dass die direkte Vergütung
der Leistung vom Bezieher an den Erbringer wesentlich geringere
Reibungsverluste aufweist als im herrschende System (d.h. vom
Zwangsbeitrag durch zweifelhafte Kanäle zum Arzt) üblich.
Zwangsläufig muss ein Streik der Ärzte für mehr Geld im
bestehenden System fruchtlos bleiben, siehe oben. Ein Streik gegen ein
fallendes oder besser stürzendes System ist überflüssig. Fast erscheint es
mir, als ginge es bei den Streiks um reine Demonstration des
Ertragens von Schikanen und schlechter Bezahlung, der Arzt und das ihm eigene Mitleid
nun auf sich selbst gerichtet. Nein, Streikwillige haben nichts Heroisches.
Hier wird schlicht die Fremdbestimmung der zwangs- oder sonst wie organisierten
Ärzteschaft deutlich.
"Ab nach Kassel" müsste die Parole lauten, nicht "Geld
weg Arzt weg". Dieser letzte Grad der Freiheit wird gerade aufs
Spiel gesetzt.
Der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit
lässt weiter auf sich warten. Hierin liegt der Kern des Problems.
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