Sehr geehrte Frau Dr. Hibbeler,
Ihr Artikel über fehlerhafte Brustimplantate lässt sich einreihen in die
zahlreichen apokalyptischen Darstellungen des Themas in der Boulevard-Presse.
Bei nüchterner Betrachtung der bisher bekannten Fakten ist festzuhalten, dass
der Gründer und Geschäftsführer des französischen Unternehmens PIP zur Füllung
von Silikon-Brustimplantaten anstelle des bei der Zulassung der Produkte
beschriebenen Silikongels ein davon abweichendes Material verwendete. Das
Ergebnis einer umfassenden stofflichen Analyse dieses nicht deklarierten
Materials lag den Behörden bereits im September 2010 vor. Spätestens ab
diesem Zeitpunkt war bewiesen, dass von den PIP-Produkten keine toxischen
Substanzen ausgehen und somit keine akute oder langfristige Gefährdung der
Gesundheit der betroffenen Patientinnen anzunehmen ist. Im juristischen
Sprachgebrauch wurde durch die Verwendung eines nicht deklarierten Silikons zur
Herstellung der PIP-Implantate der Tatbestand einer abstrakten Gefährdung
geschaffen. Mehr ist bisher nicht nachgewiesen. Zum besseren Verständnis: Eine
abstrakte Gefährdung entsteht auch dadurch, dass der Arzt bei der hygienischen
Händedesinfektion die vorgeschriebene Zeit - gemessen in Sekunden - nicht
einhält. Alle weiteren Behauptungen sind bisher spekulativ. So wurde im
Zuge der Presse-Kampagnen zum Thema behauptet, dass durch die Hüllen der
„Billig-Implantate“ austretendes Material Krebs erzeugen könne und dass diese
„platzen“ könnten. Mit drastischer Sprache in Bild (siehe Abbildung im Artikel)
und Ton wurden die medizinisch Unbedarften vermeintlich aufgeklärt. Im
Vergleich zu den bisher unbeanstandeten Produkten anderer Hersteller kann das
nicht belegt werden. Alle Produkte dieser Art – wie auch alle anderen
Implantate - sind im Bioorganismus begrenzt haltbar und mit speziellen Risiken
behaftet, unbeschadet der verharmlosenden Äußerungen einiger Anbieter, die ihre
Patienten mit falschen Versprechen täuschen, und es ist gerade diese Spezies,
die die neue Situation mit Hilfe der Medien zur Eigenwerbung und Beförderung
ihres Geschäftes nutzt. Wenn es einen akuten Handlungsbedarf gibt, dann ist das
die Ermahnung der Akteure zur Disziplin. Die inzwischen heraufbeschworene
Empörung der Öffentlichkeit hat die Aufsichtsbehörden unter Aktionszwang
gebracht, so dass diese die vorbeugende Entfernung von PIP-Implantaten
empfahlen. Den Empfehlungen haben sich die Berufsverbände der verschiedenen mit
Mamma-Implantaten befassten Fachrichtungen mit vorauseilendem Gehorsam
angeschlossen. Man ignorierte dabei einerseits die generellen Risiken, die
vergleichbaren Implantaten anderer Hersteller innewohnen und andererseits die
Risiken von Revisionsoperation, bei denen zur Entfernung der texturierten
PIP-Implante überwiegend das subpectorale Stratum eröffnet werden muss. Weniger
wäre hier mehr. Völlig abwegig sind Forderungen nach mehr Kontrollen
(etwa nur bei den Herstellern?), als hätten wir diese nicht schon im Überdruss.
Man denke zurück an die hoch gepriesenen Mamma-Implantate mit Sojaöl-Füllung,
die jeder Produktionskontrolle stand gehalten hätten. Nur leider wurde das Öl
im Organismus vorhersehbar ranzig, so dass Toxine durch die Hüllen freigesetzt
wurden. Ein anonymes Implantatregister könnte bestenfalls
„epidemiologisch“ von Interesse sein. Es wäre sicher nicht Mittel zu einer
verlässlichen Qualitätskontrolle der Produkte. Ein personenbezogenes
Register – etwa wie beim Waffenbesitz – ist aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes
nicht hinnehmbar. Dennoch eine witzige Perspektive: der Implantat-Ausweis
mutierte zum Waffenschein. Na endlich! Gegen ihre Ausführungen zur
Kostentragung im Falle einer vorbeugenden Implantatentfernung ist einzuwenden,
dass bisher keine Erkrankungen im Sinne des SGB V aufgetreten und solche auch
nicht zu erwarten sind. Daher ist die Frage der Kostenübernahme nach BGB zu
beurteilen. Wie beim Zahnarzt, der ein mangelhaftes Werkstück einsetzt, hat der
Patient Anspruch an den Anwender, d.h. hier an den Operateur. Dieser kann
seinerseits den Anspruch geltend machen beim Lieferanten.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Johannes Reinmüller
Chirurg, Plastischer Chirurg
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